Seenot und glückliche Heimkehr

 

Die Fock ist eingerollt. Doch der Sturm zerrt weiter am bereits gerefften Großsegel. Ich stehe im Niedergang zur Kajüte. Hinten heult der Außenborder. Der Regen und die Gischt peitschen über Deck. Mit starren Händen reiße ich am Großsegel und ziehe es Zentimeter für Zentimeter aus der Mastnut. An was denke ich? An nichts als daran, das Segel endlich herunter zu bekommen. Das Schiff wird durch Wind und Wellen hin- und hergebeutelt. Die rettende Küste liegt greifbar voraus, doch was hilft’s? Hier bin ich und kämpfe mit ganzer Kraft, endlich das Segel herunter zu bekommen.

 

Die drohende dunkle Wolkenwand, die von Westen aufgezogen ist, und den warmen Sonnenschein vertrieben hat, war schnell da. Aus 3 Windstärken sind 6 oder gar 7 Bf. geworden. Ich rolle weiter das Segel um den Großbaum, die erste Segellatte ist bereits drin bis zur zweiten komme ich noch, dann muss ich ans Ruder, um nicht quer zur Welle zu laufen. Hoffentlich hält er Motor durch, er hat in den letzten Tagen häufiger ausgesetzt, doch er läuft - Gott sei Dank - ohne Murren. Dass es so dicke kommt, hatte ich nach dem Wetterbericht nicht gedacht. Doch das hilft jetzt wenig. Ich muss den Schutz der Landabdeckung nach Luv erreichen. Little Wonder stampft schwer in den Wellen. Wird ihr alter Rumpf diesen Belastungen gewachsen sein? Ich bin an der Sicherheitsleine angepiekt. Wenn ich über Bord gehe, kann ich mich auf das Schiff zurückziehen, aber was ist, wenn es kentert? Weg mit diesen Gedanken, da ist ja noch die Schwimmweste. Aber das Schiff verlieren möchte ich doch nicht. Mit Schiffen wie Little Wonder hat man Atlantiküberquerungen unternommen, sie wird es trotz ihrer alten Tage aushalten! Und überhaupt: Die schwächste Komponente des Schiffes ist in der Regel der Skipper, und der bin ich. Gedanken, die schnell kommen und ebenso schnell wieder verfliegen.

 

Der Außenborder brummt beruhigend und bringt mich der Küste näher. Querab liegt eine große Yacht ohne Segel, sie hat den Anker ausgebracht. Soll ich längsseits gehen und das Wetter abwarten? Ich versuche es weiter und denke, dass ich immer noch vor dem Wind ablaufen kann. Und die gewaltige Böe kann ja nicht ewig dauern. Der Rest des stehenden Großsegels schlägt knallend im Wind, und Little Wonder strebt weiter dem Schutz der hohen Küste eingangs der Außenförde von Flensburg zu. Ich halte weiter meinen Kurs.

 

Hinter mir liegen 2 Hafentage in Sonderborg. Besichtigung der Festung, der Kirche, Reinigung des Schiffes und Ruhe, während es draußen kräftig geblasen hat.

 

Wie steht es mit dem Sprit? Unter unbeschreiblichen Umständen gelingt es mir, von 3 Litern immerhin 1 Liter in den Tank zu bringen. Scheiße…., so ein eingebauter Tank am Außenborder, das ist nur etwas für’s Binnenrevier. Er ist jetzt wieder voll. Ich hatte Sorge was geschieht, wenn ich leer fahre und dann antriebslos quer zum Wind getrieben werde. Dass ich dann die Rollfock wieder herausziehen kann und auch noch ein Stück vom Großsegel steht, fällt mir dabei nicht ein. Doch die rettende Küste kommt greifbar näher. Ich bekomme neuen Mut. Die gewaltige Böe lässt langsam nach, und ich setze das gereffte Großsegel neu durch. Nach wie vor steht eine schwere See. Little Wonder liegt jetzt aber ruhiger, seit ich das Segel wieder setzen konnte. Nach bangen Minuten oder einer Stunde komme ich in den Windschutz der Küste, und die See wird ruhiger. Die Fock raus, und es läuft wieder. Ich bin in der Flensburger Förde. Motor aus! Die Ruhe wird dankbar von mir empfunden, ich laufe gut am Wind. Jetzt muss ich die Förde überqueren, mit Zielhafen Langballigau.

 

Zurück liegen fast vier Wochen Ostseeurlaub. Sollte es mich doch noch erwischen? Nein, Ruhe bewahren. Ich könnte auch vor dem Wind nach Gelting-Mole ablaufen. Ich gehe in Gedanken die Möglichkeiten durch. Doch das Ziel lautet nach wie vor Langballigau, und ich habe noch keinen Grund dies aufzugeben. Plötzlich steht eine steile See. Ca. 2 m hohe Wellen heben mich mit meinem kleinen Schiffchen und lassen mich dann hinabrauschen. Jetzt hätte ich gerne Horst oder Holger als zweiten Mann an Bord. Doch ich bin allein, allein mit Little Wonder, die meine treue Gefährtin war bis hierher und hoffentlich auch noch weiter. Woher kommt die hohe See so plötzlich? Ich bin weitab vom Fahrwasser in flachen Gewässern, was der Tiefgang des Schiffs mit 55 cm auch erlaubt. Weiter auf der Förde wird es besser sein. Ich falle etwas ab und laufe weiter zur Mitte der Förde, und es wird besser! Doch mein Kurs ist das lange nicht mehr. Ich muss weiter in die Förde, um die Steuerbordtonne zu erreichen, von der aus ich Kurs auf Langballigau abgesetzt habe. Also, Fock rein und Motor an. Jetzt kann ich annähernd meinen Kompasskurs wieder anlegen. Doch Little Wonder klatscht jetzt gewaltig in die immer noch schwer stehende See.

 

Voraus die grüne Steuerbordtonne, endlich kann ich die Förde queren, auf der anderen Seite wartet der Hafen von Langballigau mit Ruhe und Geborgenheit. Fock raus und Motor aus. Ich schieße über die Förde und erreiche die Leeküste schneller als gedacht. Motor an und zwei bis drei Meilen gegen den Wind zum Hafen von Langballigau, den ich dann nach einem weiteren „Tankmanöver“ erreiche.

 

Little Wonder ist sicher festgemacht, als das Rettungsschiff der DGzRS einläuft, eine DC 20 (20er Jollenkreuzer) mit Schiffsnamen DCFIX im Schlepp, die vor Gelting durchgekentert war. Ich helfe den beiden jungen Leuten noch ihr Schiff auf den Trailer ziehen und bin froh, dass mir dies erspart blieb. Abends in der Hafenkneipe kippe ich ein paar Biere und werde Mitglied (spendendes) in der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger.

 

Spät in der Nacht krieche ich in meinen Schlafsack. In der warmen Koje gelten meine letzten Gedanken meinen Lieben daheim, die schon lange in ihren behüteten Betten liegen und nichts ahnen von den kleinen Abenteuern eines Binnenländers aber „Möchtegernseemannes“.

Nächstes Kapitel.

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Wie die Welt aussieht hängt von der Perspektive ab, aus der heraus man sie betrachtet. © Gerhard Falk