Ankunft

 

 

Die Kaffeemaschine röchelt als ob sie die Kur nötiger hat als ich. Anfangs befürchte ich, dass sie in den langen Pausen zwischen einem erneuten Anfall das Zeitliche endgültig gesegnet hat, aber dann meldet sie sich mit einem lauten Schnaufer zurück ins Leben. Von fünf Tassen hat sie mindestens eine verdampft, was der Stärke des so produzierten Getränkes zu gute kommen wird. Ein tiefer Seufzer meldet das Ende der Prozedur. Aus der Ferne grüßt der „Rasende Roland“ mit lautem Pfeifen der Dampflok von Putbus kommend, um Urlauber und Pendler am Binzer „Kleinen Bahnhof“ abzuliefern.

 

Ich bin beim ersten Schluck des heiß dampfenden Kaffees angenehm überrascht. "Magdeburger Röstung“ nennt sich die Sorte, die ich in Binz eingekauft habe. Zusammen mit anderen Lebensmitteln wie Kartoffelpüree aus der Tüte namens „Mecklenburger Küche“ achtete ich darauf, möglichst Produkte aus den neuen Ländern zu erwerben. Bei Ananas, Bananen und Apfelsinen und Naturreis musste ich von diesem Prinzip abweichen. Mit dem Fahrrad war ich heute Nachmittag in Binz unterwegs. Mit schwer beladenen Satteltaschen keuchte ich den „Klünderberg“ hinauf, auf dem meine gemietete Datscha thront. 

 

Mein Nachbar und schon Freund begrüßte mich aus seinem Zwinger mit lautem Gebell, jetzt liegt er entspannt in der Abendsonne. Strolch heißt der schwarze, langmähnige Schäferhund, der wie Frau Schubert – meine Wirtsfrau – mir versichert, französischer Herkunft ist. Mit ihm bewohnen vier schwarze Katzen mit weißen Pfötchen das weitläufige Grundstück. Und natürlich Familie Schubert, die nebenan in einem kleinen Häuschen mit steilem Satteldach residiert. 

 

 

Meine Kaffeemaschine lässt erneut ein lang gezogenes Fauchen ertönen, und lädt so zu einer zweiten Tasse ein. In einer Birkenreihe, die das Grundstück zur Ostseeseite hin begrenzt sitzt eine Amsel und blickt der untergehenden Sonne nach. Ein Strauß Birkenreiser steht vor mir auf dem Tisch, behängt mit kleinen, bunten Ostereiern; ein freundlicher Willkommensgruß. 

 

 

Tagebuch schreiben ist durchaus auch ein Teil der selbst verordneten Kurtherapie. Die  Gedan-ken ordnen sich, und das Erlebte wird verinnerlicht. Selbst verordnet ist auch die Umstellung auf vegetarische Ernährung - ein weiterer Versuch, den Gewichtsproblemen zu begegnen. Meine Kurärztin befasst sich derweil mit meinem lumbalen Wirbelsäulensyndrom. Unterwassermassage und Krankengymnastik in der Rückenschule stehen auf der Verordnung, meine Termine beginnen am Mittwoch im „Vitarium“. Regelmäßiges Fahrradfahren und Wandern begrüßt sie ebenso wie meine vegetarischen Pläne. Die Waage zeigte heute bei der Untersuchung 114,6 kg. Sie wird nächste Woche unbestechlich Auskunft über den Erfolg meiner Bemühungen geben. Mein psychovegitativer Erschöpfungszustand soll aus der Summe der „Anwendungen“ bekämpft werden. Noch immer treibt mich die innere Unruhe mit ständigen Gedanken an die Büroprobleme. Ich hoffe auf einen allmählich ruhigeren Rhythmus und die Wiederkehr der inneren Harmonie. 

 

 

Ich bin jetzt froh, dass mein Kurdomizil am Waldrand liegt. Von draußen dringt abendliches Vogelgezwitscher in meine Datscha. Um mich herum strahlt die Natur Harmonie und überlegene Ruhe aus. Vielleicht kann ich einen Teil davon auf mich übertragen. Zurückfinden in die Selbstverständlichkeiten der Natur, die nicht erkämpft oder organisiert werden müssen, die einfach da sind, und von denen wir ein Teil sein sollten. 

 

 

Auf dem Tisch vor mir liegen Landkarten von Rügen und ein Reiseführer „Der Rüganer“, Postkarten und ein Fahrplan der Weißen Flotte mit Verbindungen nach Hiddensee. Alles heute in Binz eingekauft, um ja die Zeit mit vielen Aktivitäten auszuschöpfen. Mache ich das richtig? Will ich nicht nur wieder meinen Konsum organisieren? Sollte ich nicht besser meine Seele baumeln lassen und den Vögeln draußen zuhören? Wir werden sehen! Dass ich wieder schreibe, und das mit Genuss, werte ich jedenfalls als erstes positives Zeichen. Die räumliche Distanz von ca. 800 km zum Alltag ist hergestellt, das erste Heimweh zu den Daheimgebliebenen flackert auch schon hoch, das andere wird sich finden.

 

Nächstes Kapitel.

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Wie die Welt aussieht hängt von der Perspektive ab, aus der heraus man sie betrachtet. © Gerhard Falk