Lockende Ziele

 

Die Ereignisse haben sich so überstürzt, dass ich erst heute am Montag dazu komme, meine Aufzeichnungen nachzuholen. Ein langer Schwatz mit Herrn Schubert kam jetzt auch noch dazwischen. Auf einer alten Karte von Rügen zeigte er mir, wo früher die Kleinbahn die ganze Insel erschlossen hatte. Ich entwickele gleich ein Konzept zur Wiederbelebung dieses Gedankens. 

 

 

In den letzten Tagen führte mich mein Weg wieder nach Saßnitz und von dort zu den Kreide-felsen. Ernst-Moritz-Arndt-Blick und Königstuhl, aber die ganze Küste ist im strahlenden Sonnenschein ein imposanter Anblick.

Im Hafen zurückgekehrt durchwandere ich die Hafenanlagen. Beim Yachtsteg sehe ich verträumt den Skippern zu, wie sie ihre Schiffe für die Törns der neuen Saison herrichten. Wie gern würde ich jetzt zum Schrubber greifen und Klarschiff machen, um anschließend hinauszufahren. Zurück im Fischereihafen setze ich mich auf die Terrasse eines Kiosks und genieße zwei Tassen Kaffee. Zwangsläufig höre ich Gespräche mit, die Saßnitzer Männer führen über früher und heute. Ein Rentner, ein arbeitsloser junger Mann und ein selbständiger Handwerker. 

Dabei erfahre ich auch, dass im Saßnitzer Hafen ein herrenloser Kater lebt, der den Namen "Hafenmeister" führt.

Weiter führt mich mein Weg nach Vitt. Ein altes Fischerdorf in einer kleinen Schlucht, die direkt am Meer endet. Geschützt liegen die Häuser dicht gedrängt in der Steilküste. Ihr Reeddach packt sie warm ein. Die kleinen Fenster schauen den Besucher freundlich an. Oben auf der Höhe er Steilküste bewacht eine Kapelle den Frieden. Am Strand verkauft ein Fischer direkt aus dem Räucherschrank. Ich werde schwach und genieße ein Stückchen Heilbutt. Es gibt inzwischen viele Plätze, wo ich meine leben zu können, dieser gehört jetzt dazu. 

Dann, vor dem Antritt der Rückfahrt, kommt ein jähes Erwachen: Meine Brieftasche ist weg! Mit ihr gegangen meine Euroschecks und alle Ausweise. Lediglich die Scheckkarte ist sicher in meinem Portemonnaie. Ich suche alles ab – nichts. Es steht fest, sie ist aus meiner Pfeifentasche gerutscht, in die ich sie seitlich eingesteckt hatte. Letzt Hoffnung: Sie ist bereits im Autokofferraum unbemerkt heraus gefallen. Doch auch dort werde ich nicht fündig. Auf dem Heimweg hoffe ich darauf, dass sie bereits auf dem Grundstück beim Beladen des Autos heraus gefallen ist. Ich weiß mir keinen Rat und lege fest, dass ich am Montag telefonisch mein Konto für alle vorzulegenden Schecks sperren lasse. Die Neuausstellung der Ausweise wird einige Gebühren verursachen. Zuhause in Binz angekommen suche ich das Grundstück und die Datscha ab: Ohne Erfolg. Mein Blutdruck klettert weiter, und ich klammere mich nun an die Möglichkeit, dass Schuberts sie gefunden haben, aber die sind nicht zuhause. Was soll ich tun? Ich werde zur Beruhigung eine Pfeife rauchen. Beim Öffnen der Pfeifentasche schaut mich meine Brieftasche verschmitzt an, sie hatte sich in der Innentasche versteckt, das Biest! Wo ich mir doch so sicher war. Mit großer Erleichterung gehe ich zum Telefonhäuschen und rufe zuhause an, Holger meldet sich. Der Tag ist wieder in Ordnung. 

Ein neues Ziel ist die Insel Hiddensee, die ich mit der Fähre über Schaprode erreiche.

 

Ich rieche hier den typischen Inselgeruch. Keine Autos. Schmal und lang gestreckt liegt sie vor Rügen, flach im südlichen Teil, hügelig im Norden. Die Fähre läuft erst den Hafen Neuendorf an und macht dann in Vitte fest. Ich gehe von Bord und wandere am Ostseestrand entlang nach Kloster. Hier hat Gerhart Hauptmann eine Zeit verbracht; ich besuche an seinem Haus die Gedenkstätte. Die Zeit drängt bis zur Abfahrt um 17.00 Uhr, so dass ich nur von außen schaue. Aber ich meine das besondere Flair des Dichters zu spüren, das das Anwesen mit seinem alten Baumbestand und das schöne spitzgieblige Haus ausstrahlen. Die Wiesenfläche zwischen den Bäumen ist mit blauen Frühlingsblumen durchsetzt. Auch der kleinen Kirche in der Nachbarschaft statte ich einen Besuch ab. Dann verweile ich am Dorfteich und atme den Inselfrieden tief. Die überschaubare Kleinheit fehlt auf Rügen, die hier das Inselgefühl so stark werden lässt. Ein vorbeiziehendes Pferdegespann erinnert an eine andere Zeit. Stämmig sind die beiden hellbraunen Zugpferde. Der Inselwind weht durch ihre langen Mähnen. Mich zieht es wie immer zum Hafen. In einer gemütlichen Gaststätte schaue ich direkt auf das kleine Hafenbecken. Die Fahrgastschiffe machen an einem langen Kai außerhalb des Hafens fest. Ein Reeddachhaus beherbergt den Hafenmeister und einen kleinen Gaststättenbetrieb. Ich verwöhne mich mit zwei Tassen Kaffee, einer Gemüseplatte mit Reis und einer kleinen Salatplatte und träume weiter von der blauen Blume der Romantik.

 

Dann wandere ich noch einmal über einige Hügel und genieße in der Sonne den Blick zum Leuchtturm und über die Boddengewässer. Hier könnte man mit dem Fahrrad auch einige Entdeckungsreisen unternehmen, doch ich muss zurück. Pünktlich um 17.00 Uhr verlässt meine Fähre Hiddensee

 und liefert mich wieder in Schaprode ab.                  (Blick auf Hiddensee am Abend)

 

Dieser Ort ist auch ein Juwel, überragt vom hohen Turm der Backsteinkirche.
 

 

 

Auf der Rückfahrt mache ich einen Abstecher nach Ralswiek, wo im Sommer in einem Frei-lichttheater am Hafen die Störtebeckerfestspiele stattfinden. Ich rieche in der Abendstille Pulverdampf und höre Seeräubergeschrei. 

 

 

Während ich schreibe röchelt meine Kaffeemaschine ihr asthmatisches Lied. Wenn ich am Wochenende abreise wird sie zur Kur oder in den Ruhestand müssen. 

 

 

Gestern habe ich das Jagdschloss in der Granitz besucht. Ein imposanter Bau, von dessen hoch aufragendem Turm man einen wundervollen Rundblick über die ganze Insel hat. Doch der Genuss muss über 174 Stufen einer eisernen Treppe im Innern des Turmes erkämpft werden. Der Aufstieg bereits ist eine Augenweide. Nicht in engen Wendeln geht es nach oben, sondern in weitem Bogen des innen freien Turmes, der einen Durchmesser von vielleicht 20 m innen hat. Helles Mauerwerk wird durch zahlreiche der Gotik nachempfundene Fenster Licht durchflutet.  

 

 

In den Räumen des Schlosses ist jagdliches Ambiente vorherrschend, Feudalismus pur. Jagdszenen in Bildern, Kaminen, Plastiken. Von den Wänden schauen Jagdtrophäen auf die staunenden Besucher. Parkettfußböden, antikes vollständiges Inventar, kunstvoll gestaltete Kassettendecken und alles überstrahlende Kronleuchter vermitteln das Gefühl des noch bewohnt seins des Schlosses. Lediglich eine Kordelabsperrung hier und da erinnern an die museale Funktion des Schlosses. 

 

Weiter geht mein Weg nach Moritzdorf und hinauf auf die Moritzburg. Überall Bodden, ich bade mit Blicken in der Landschaft. In Moritzdorf läute ich an einer Messingglocke nach dem Fährmann, der mich in seinem Ruderkahn über den schmalen Durchlass zum Selliner See übersetzt. 1,-- DM kostet das Vergnügen, ich gebe freiwillig 2,-- DM, auf der Rückfahrt 5,-- DM, denn er rudert mich alleine. Je länger ich hier bin, umso mehr erschließen sich die Schönheiten der Landschaft, in der sich Land und Meer vermischen. Überall wird das Bild durch die noch intensive Boddenfischerei bestimmt. Netze, Stellnetzfahnen, Fischkisten und zahllose kleine Kutter, denen man die Jahre ihrer Arbeit ansieht. Bald wird diese reale Nostalgie der Kunststoffmoderne weichen. In den Häfen fehlen noch die modernen Yachten, so dass das ursprüngliche Bild dominiert. Hoffentlich erkennen wir künftig mehr, wie der Anblick unseres Lebensraumes auch unser Lebensgefühl und unsere Stimmungen prägt.

 

Nächstes Kapitel.

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Wie die Welt aussieht hängt von der Perspektive ab, aus der heraus man sie betrachtet. © Gerhard Falk